53 – Ruf der Ferne

53 - Ruf der Ferne

Would you like to download this short story as a PDF with vocabulary German-English and a worksheet? Join the German with Stories Club. You will also get an audio file without the “annoying” (but necessary) intros and outros with announcements and can practice writing and speaking in our members-only Telegram group.

Hallo, mein Name ist Daniela und dies ist der German with Stories Podcast. Nach der Short Story über Fernanda, das Mädchen aus Angola, die in den 1970ern in eine deutsche Kleinstadt kam, gehen wir heute 100 Jahre in die Vergangenheit. Du hörst wieder eine Kurzgeschichte, aber sie spielt nicht in Deutschland. Meine Stories sind werden oft durch wahre Ereignisse inspiriert oder  durch etwas, was ich gelesen habe. Ich möchte dir kurz erzählen, was der Background von “Ruf der Ferne” ist. In der Geschichte geht es um einen jungen Mann aus Italien, der nach Argentinien auswandert. Vor 100 Jahren war Argentinien eines der reichsten Länder der Welt, während es in Italien und vor allem auf der Insel Sizilien viel Armut gab. Der junge Mann aus der Geschichte heißt Leonardo und er ist der Großvater eines Freundes. Ich habe diesem Freund in den letzten Monaten geholfen, alle Papiere zu finden, um einen italienischen Pass zu bekommen. Mein Freund ist nicht sehr geduldig, aber ich fand es sehr interessant, die alten Papiere zu lesen. Ich war auch im Immigrationsmuseum in Buenos Aires und habe dort viel über die Immigranten gelesen, die vor 100 Jahren angekommen sind. Es waren nicht nur Italiener, aber es waren sehr viele Italiener. Im Museum konnten sie mir sagen, wann genau und mit welchem Schiff Leonardo angekommen ist. Vieles, was du in der Short Story hören und lesen kannst, sind also Fakten. Meiner Meinung nach ist es sehr spannend zu sehen, wie viele Dinge sich in 100 Jahren geändert haben. Vor 100 Jahren sind viele Italiener nach Argentinien emigriert und heute sehen viele Argentinier bessere Optionen in Italien und versuchen deshalb, einen italienischen Pass zu bekommen.

Some words in English: The podcast is part of my membership program, the German with Stories Club. As a member, you get this short story as a PDF file with vocabulary German-English, a worksheet and you can practice writing and speaking in our members-only Telegram group. There are also additional videos and audios that give you plenty of opportunity to improve your German step by step and with comprehensible input. You find us at patreon.com/germanwithstories. There’s a link in the description.

Ok, und nun starten wir mit der Geschichte.

Ruf der Ferne

„Ich will nicht, dass du weggehst.“ Die 16jährige Alfia weinte. Der ein Jahr ältere Leonardo war ihre große Liebe. Erst vor einem halben Jahr hatten sie sich kennengelernt. Alfias Eltern hatten einen kleinen Laden in Acireale, nördlich von Catania. Leonardo hingegen kam aus einer Bauernfamilie. Für beide Familien war die Situation schwierig. Zu viele Kinder und zu niedriges Einkommen. So ging es vielen sizilianischen Familien Anfang der 1920er.

Leonardos Bruder Giovanni war vor fünf Jahren nach Argentinien ausgewandert und nun wollte Leonardo auch dorthin.

„Hör mir zu, Alfia. Ich hole dich nach, das verspreche ich dir. Sobald ich einen Job und eine Wohnung habe, kommst du. In Argentinien können wir uns ein gutes Leben aufbauen. Das Land ist reich und sie suchen Einwanderer. Man bekommt Hilfe. Wir werden ein schönes Leben haben und unsere Kinder auch. Sizilien hat keine Zukunft.“

Alfia wusste gar nicht genau, wo Argentinien lag, aber sie wusste, dass es sehr weit weg war. Wenn man einmal dort war, kam man nicht wieder zurück nach Italien. Sie konnte sich nicht vorstellen, ihre Eltern und ihre Geschwister nie wieder zu sehen, aber sie konnte sich noch weniger vorstellen, ohne Leonardo zu leben.

Wenige Monate später war es soweit. Vor einer Woche hatte Leonardo seinen 18. Geburtstag gefeiert und nun würde er Sizilien verlassen. Zuerst musste er nach Genua. Auch das war eine lange Reise, denn die Stadt liegt im Norden von Italien. Dort würde das große Schiff ablegen, das Leonardo über den Atlantik nach Argentinien bringen würde. Principessa Giovanna hieß es. Leonardo fand, dass es ein gutes Zeichen war, denn schließlich hieß sein Bruder Giovanni.

Nach einer anstrengenden viertägigen Reise kam Leonardo in Genua an. Von den 50 Lira, mit denen er in Sizilien losgefahren war, waren nur noch 12 Lira übrig. Würde das reichen, um ein Bett in einer Herberge zu bezahlen und eine Kleinigkeit zu essen? Morgen um 12 Uhr mittags würde die Principessa Giovanna ablegen und an Bord gab es Verpflegung.

Leonardo hatte Glück. Direkt am Hafen fand er eine Herberge, wo er für 6 Lira ein Bett in einem Schlafsaal bekam. Wie in den Nächten zuvor umklammerte er beim Schlafen die Tasche mit seinen wenigen Habseligkeiten. Die kostbare Fahrkarte und ein Foto von Alfia waren in einem Umschlag in seiner Hosentasche.

Um 8 Uhr morgens musste er den Schlafsaal verlassen. Er kaufte sich einen Espresso und etwas Brot. Die Principessa Giovanna lag bereits im Hafen. Leonardo war beeindruckt. So ein großes Schiff. Die Schiffe, die er in Catania und Messina gesehen hatte, waren viel kleiner gewesen. Dieses Schiff würde den Atlantik überqueren.

Leonardo hatte eine Fahrkarte für das Zwischendeck. Das war die billigste Kategorie. 350 Lira hatte er bezahlt. Die Hälfte von seinem eigenen Geld, die andere Hälfte war von seinem Vater und anderen Verwandten gekommen. Er würde es zurückzahlen.

„So viele Menschen.“ Leonardo staunte. „Das sind mehr Menschen als bei uns im Dorf leben und die passen alle auf das Schiff.“

Leonardo bekam einen Platz in einem Schlafraum für allein reisende Männer. Die Etagenbetten standen dicht nebeneinander. Leonardo hatte Glück und fand ein freies Bett direkt an der Wand. Hier würde er nun also die nächsten drei Wochen verbringen. Er war noch nie auf einem Schiff gefahren. Natürlich gab es auf Sizilien Fischer, aber in seiner Familie waren immer alle Bauern gewesen.

Als die Principessa Giovanna pünktlich um 12 Uhr ablegte, stand Leonardo zusammen mit vielen anderen Passagieren auf dem Deck.

„Ciao, Italia“, murmelte Leonardo.

Die Bedingungen im Zwischendeck waren zwar nicht optimal, aber in den ersten Tagen war alles noch neu und aufregend und das Mittelmeer war ruhig. Am vierten Tag durchquerte die Principessa Giovanna die Meerenge von Gibraltar und die ersten Passagiere wurden seekrank. Auch Leonardo erwischte es. Schlimmer waren jedoch die hygienischen Zustände. Der Schlafsaal hatte keine Fenster und manche Männer machten sich nicht die Mühe, sich zu waschen.

Leonardo hasste den Gestank und außerdem war er es gewohnt, tagsüber unter freiem Himmel zu sein. Er versuchte, so oft wie möglich an Deck zu gehen, aber es war nicht immer erlaubt. Manchmal sah er von weitem Passagiere der ersten Klasse. Sie hatten ein Deck mit Sonnenliegen und es gab auch einen schönen Speisesaal für sie. Leonardo hatte sich einmal verlaufen und war an diesem Speisesaal vorbeigekommen. Die Menschen dort hatten an Tischen mit weißen Tischdecken gesessen und schöne Kleidung getragen.

„Wie teuer ist wohl eine Fahrkarte für die Erste oder Zweite Klasse?“, fragte sich Leonardo. „Ob ich wohl in Argentinien schnell genug verdienen kann, um Alfia eine bequemere Reise zu ermöglichen?“

Nach drei Wochen legte die Principessa Giovanna im Hafen von Buenos Aires an. Es war der 23. Juli und es war kalt. Leonardo folgte den anderen Passagieren. Alle mussten sich registrieren.

„Haben Sie eine Unterkunft?“

„Mein Bruder lebt hier, ich habe eine Adresse.“ Leonardo zeigte dem Beamten den Briefumschlag, wo Giovannis Adresse als Absender stand.

„Das ist keine Adresse. Das ist die Post, wo Ihr Bruder seine Briefe abholt. Weiß Ihr Bruder, dass Sie kommen?“

„Ja, natürlich. Er weiß, dass ich eine Fahrkarte für dieses Schiff hatte, für die Principessa Giovanna.“

„Sehen Sie das große Gebäude dort drüben? Das ist das Hotel de los Inmigrantes. Sie können sich dort melden und bekommen einen Schlafplatz. Ihr Bruder wird Sie dort finden.”

„Okay, danke.“

Der Beamte behielt Recht. Zwei Tage nach Leonardos Ankunft stand Giovanni plötzlich vor ihm. Fünf Jahre hatte Leonardo seinen ältesten Bruder nicht gesehen, aber er erkannte ihn sofort. Die beiden Männer fielen sich in die Arme.

Giovanni arbeitete im Hafen und auch Leonardo fand dort schnell einen Job. Während Giovanni jedoch sein Geld jedes Wochenende für Alkohol und andere Vergnügungen ausgab, sparte Leonardo jeden Cent, lernte Spanisch und besuchte abends einen Buchhaltungskurs. Jeden Sonntag setzte er sich hin und schrieb Alfia einen langen Brief.

Fast zwei Jahre nach seiner Ankunft war endlich der große Tag. Ungeduldig stand Leonardo am Ausgang des Registrierungsbüros im Hafen von Buenos Aires.

Da, da war sie. „Alfia!“ Vor zwei Monaten waren sie mit Hilfe einer Vollmacht in Sizilien für Mann und Frau erklärt worden und nun war sie hier. Anders als er hatte sie nicht im Zwischendeck reisen müssen, er hatte ihr eine Fahrkarte für die Zweite Klasse gekauft. Seit drei Monaten hatte er eine gute Stelle als Assistent eines Buchhalters. Erst vor zwei Wochen hatte er eine kleine Wohnung in einem guten Stadtteil gemietet. Es fehlten noch viele Möbel und Hausrat, aber das würden sie gemeinsam kaufen. Es hatte sich gelohnt, dem Ruf der Ferne zu folgen. Hier in Buenos Aires würden er und Alfia und ihre zukünftigen Kinder ein besseres Leben haben als in Sizilien.

Ende der Geschichte. How much do you remember? I will ask you some questions about the content and you will also hear my answers. If you need some time to formulate your answer, please stop the audio after each question.

Los gehts!

  1. Warum wandert Leonardo nach Argentinien aus? -Leonardo wandert nach Argentinien aus, weil er auf Sizilien keine Perspektive sieht. Er will ein besseres Leben.
  2. Was weißt du über den ersten Teil der Reise von Sizilien nach Genua? – Die Reise von Sizilien nach Genua in Norditalien dauert vier Tage. Leonardo übernachtet in einer Herberge am Hafen. Er hat nicht mehr viel Geld, aber es reicht, um Brot und einen Kaffee zu kaufen.
  3. Wo schläft Leonardo auf dem Schiff? -Leonardo hat ein Bett im Zwischendeck. Es ist ein Schlafsaal für Männer, die allein reisen.
  4. Welche Probleme gibt es auf der Fahrt von Genua nach Buenos Aires? -Die hygienischen Bedingungen sind schlecht. Es stinkt, weil viele Männer sich nicht oder kaum waschen. Außerdem werden viele Passagiere seekrank. Auch Leonardo erwischt es.
  5.  Wer wartet am Hafen von Buenos Aires auf Leonardo? -Am Hafen von Buenos Aires wartet niemand auf Leonardo. Deshalb schickt ihn der Beamte in ein Hotel für Immigranten. Dort findet ihn zwei Tage später sein Bruder Giovanni.
  6. Wo arbeitet Leonardo zuerst? – Zuerst arbeitet Leonardo am Hafen von Buenos Aires.
  7. Was macht Leonardo in den ersten zwei Jahren, um seine Situation zu verbessern? – Er lernt Spanisch und besucht einen Buchhaltungskurs.
  8. Wie ist Leonardos  Situation, als Alfia ankommt? – Als Alfia ankommt, hat Leonardo einen Job als Assistent eines Buchhalters und hat eine Wohnung in einem guten Stadtteil gemietet.

So, ich hoffe, diese Episode hat dir gefallen. Die nächste Folge gibt es am 3. November. Das ist ein neuer Monat, also ein neues großes Thema. Dieses große Thema ist: Deutsche Inseln.  

Vielen Dank fürs Zuhören. Thank you very much for listening and please don’t forget to check the description if you want to know more about my work. If you listen on Spotify, I created a poll and would like to know: Why are you studying German? You can find the poll under the audio in the Spotify app.  

If you enjoy listening to the German with Stories podcast and would like to support the podcast without becoming a member of the German with Stories Club, you can buy me a (virtual) coffee. Be sure that it’s appreciated. Vielen Dank! 

Leave a Comment

Your email address will not be published. Required fields are marked *

This site uses Akismet to reduce spam. Learn how your comment data is processed.

Scroll to Top